Marseille: Hamburgs Partnerstadt und Europäische Kulturhauptstadt 2013

Bericht über die CLUNY-Reise im Oktober 2013

Von Dr. Reinhard Behrens

Mit einer Reisegruppe von 38 Menschen ist CLUNY vom 13. bis 19. Oktober in unsere Partnerstadt Marseille gefahren, die in diesem Jahr auch Europäische Kulturhauptstadt ist. 2008 ist Cluny zum letzen Male in Marseille gewesen, auch damals hatte unser Vorstandsmitglied Dr. Brigitte Volkhausen die Reise vorbereitet. Wer 2008 dabei gewesen war, wusste, dass ihn eine konzentrierte Bildungsreise und ein Programm mit originellen Schwerpunkten erwarten würde, gründlich mit einem dicken Dossier zur Vor- (und auch Nach-) -bereitung ausgestattet. So war es auch dieses Mal, unsere „Reisemarschallin“ hat ganz andere Akzente als vor fünf Jahren gesetzt.

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Die Bilder sollen bei der Orientierung im Raum per Stadtplan und in der Geschichte helfen – die fünf historischen Bilder zeigen Einzelansichten einer Diaschau, die fortlaufend im „M“, dem Kulturhauptstadt-Info-Pavillon, gezeigt wurden.

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Unser Hotel lag ideal am östlichen Ende des Vieux Port, dem Entwicklungszentrum der Stadt seit der griechischen Zeit, seine Einfahrt im Westen wird durch zwei Forts gesichert, wobei das linke Fort St. Nicolas unter Ludwig XIV eher zur Disziplinierung Marseilles   erbaut wurde – die Schießscharten für die Kanonen waren auf die Stadt gerichtet. Anlässlich des Jahres als Kulturhauptstadt war am Kai vor unserem Hotel ein Flachdach mit originell spiegelnder Unterseite gebaut worden – und auch das Rathaus warb für das Ereignis.

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Hinter dem Rathaus wurde als Treff- und Informationspunkt der „M“-Pavillon für den Kulturbetrieb errichtet – ein provisorischer Bau nur für 2013. Von dort geht aber auch der Blick über den Alten Hafen hinweg auf die neobyzantinische Kirche Notre-Dame de la Garde. Sie prunkt im Sinne der katholischen Offensive des späteren 19. Jhd. – aber der Blick von ihrer Plattform auf Stadt und Bucht ist einzigartig (Bilder von 2008, war in diesem Jahr nicht in Brigittes Programm) – weiterhin imponiert der Güterverkehr im Hafen im Hintergrund vom Volumen her Hamburgern nicht so sehr (der Containerumschlag in Fos bei Marseille liegt bei einem Zehntel dessen von Hamburg), aber die vielen Kreuzfahrtschiffe, die heute die Stadt anfahren, bringen Renommee und Umsatz (an einem Tag waren derer 10 zu sehen!).

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Wir waren nicht nur zum Spaß, sondern auch zum Lernen in Marseille – ein sehr fundierter Vortrag des Planungschefs der Stadt, M. Lardic, stellte uns deren Entwicklungspläne vor. Ein Leitbild wie die wachsende Stadt wird in Marseille nicht verfolgt, daran hindern auch die Berge um die Stadt – fehlt vielleicht auch der Wille zu solcher Form von Dynamik und Wandel? Und die vielen sozialen Probleme der „Quartiers du Nord“ sind noch nicht gelöst…

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Bei drei Busfahrten (nach Arles, nach Aix-en-Provence und nach Martigues) hatten wir jeweils verschiedene Fahrer, die beiden ersten waren Yassine und eine junge Frau namens Omi (ça me faisait un peu drôle de l’appeler Omi…), beide nett, dunkelhäutig, offenkundig perfekt integriert, und jeweils ermutigende Beispiele für Marseille als Schmelztiegel. Beide wurden interviewt und berichteten von ihren Eltern mit Geschichten wie: italienische Mutter, senegalesischer Vater, oder arabisch-algerischer Vater, französisch-algerische Mutter, ähnliches galt für die Partner, so dass es für die Kinder sieben Herkünfte geben konnte. So bereichernd kann gelungene (!) Integration sein.

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Arles, lange die wichtigste Stadt der ersten römischen Provinz, war, vergleichbar  Hamburg, ein See- und Flusshafen an der Rhone, wo Waren aus dem ganzen Reich umgeschlagen wurden, und, Glück der Archäologen, vieles fiel dabei von der Kaimauer ins Wasser, Wertvolles wie auch Müll und Bruch versanken im Schlamm, der bei Hochwasser ausgespült wurde, so dass sich kompakte Fundschichten bildeten. Der aufregendste Fund wurde 2004 gemacht, eine fast vollständig erhaltene 31 m lange Holzschute mit ihrer Ladung Kalksteine als Baumaterial, perfekt im sauerstoffarmen Schlamm konserviert und in nur drei Jahren entwässert, stabilisiert (Polymerisation mit Gamma-Strahlung) und in einem extra erstellten Anbau für 2013 aufgestellt, der 14 Tage vor unserer Ankunft eröffnet wurde… Das alles erklärte uns, auch seinerseits stolz, der Direktor des Hauses, M. Claude Sintès. Wir dachten gleich  an eine Partnerschaft mit dem Harburger Museum, unserem Hamburger Archäologie-Museum. Das „Musée Départemental Arles Antique“ wurde 1995 eröffnet und birgt an sich schon außerordentliche Schätze, so eine Sammlung einzigartiger spätantiker Sarkophage, und eine wohl aus seiner Lebenszeit stammende Büste von Caesar (die Falten seines schiefen Halses schließen Zweifel aus..) begrüßt die Besucher – uns wie auch eine Schulklasse, die die heutige Vielfalt in der Region  abbildet. Dem Berichterstatter sei seine Begeisterung für dies Museum nachgesehen…

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Im Freigang konnten wir auch noch St. Trophime (der Kreuzgang, ca. 1170, ein Traum) und aus der römischen Zeit das Theater und die großstädtische Arena sehen – wenig Zeit zum Bummeln, denn Brigittes Wagen rollt…

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Denn es ging weiter nach Aigues Mortes, von Louis IX (Saint Louis, auf Arabisch ganz einfach „Raydafrans“) als erster französischer Hafen am Mittelmeer gegründet, die Stadt ist von einer vollständig erhaltenen rechteckigen Mauer umgeben. Als der Hafen versandete, blieb die Produktion von Fleur de Sel, dies viele Salz war bei einer Gelegenheit auch praktisch, als damit in einem Sommer in einem Turm eine große Menge getöteter Aufständischer konserviert wurde… Nach der Rücknahme des Edikts von Nantes wurden treue Protestantinnen in dem größten Festungsturm eingekerkert – und deren Wille  in 38 Jahren Haft nicht gebrochen. Dort liest man das für die Hugenotten emblematische „RESISTER“.

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Unser letzter Halt an diesem vollen Tag: Saintes Maries de la Mer, Pilgerort der frz. „Romanichelles“ – nach mittelalterlichem Glauben soll die Heilige Sara wie diese aus Ägypten stammen.

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Schwerpunkt in Aix-en-Provence war der Besuch bei Cézanne, in seinem Elternhaus, in seinem Atelier mit zahlreichen Gegenständen, die wir von seinen Bildern kennen und dicht dabei auf dem Hügel, von dem aus er in zahlreichen Fassungen seinen Lieblingsberg, la Montagne Sainte Victoire gemalt hat – etwa 10 Fassungen umstellen zum Vergleich der Lichtverhältnisse und der Sichtweisen in wetterfesten Reproduktionen den Aussichtspunkt. Bei unserem Besuch war es allerdings so dunstig, dass Cézanne zu Hause geblieben wäre… Auf eigene Faust unter dem Schirm haben  wir dann Aix erkundet, wohl alle haben die Kathedrale besucht. Mit haben in der Politischen Fakultät der Universität gegenüber die Namen von zwei  Seminarräumen,  „Salle Machiavel“  und „Salle Talleyrand“ – beide gnadenlose Pragmatiker…

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„Les Milles“ stellte einen Kontrapunkt dar, diese ehemalige Ziegelei wurde von der französischen Regierung im September 1939 eingerichtet, um in Frankreich lebende Emigranten zu internieren – das waren allerdings meist Nazi-Gegner, oft große Namen der deutschen/europäischen Geistesgeschichte, die sich dann meist um Visa in die USA oder andere sichere Länder bemühten. Das Vichy-Regime internierte dann dort auch Juden. Tausende Menschen lebten in Dunkelheit und dem allgegenwärtigen Ziegelstaub eng gepackt auf mehreren Etagen, dennoch gab es ein reges kulturelles Leben – das kann ein gepflegtes Museum nicht nachfühlen lassen.

In der Region bedurfte es einer langen schmerzhaften Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und deren Legenden des umfasssenden Widerstandes, bis diese Gedenkstätte entstehen konnte, denn sie wurde immer nur von Franzosen betrieben, 2008 war sie nur teilweise zugänglich. Heute beunruhigen strenge Sicherheitsmaßnahmen und ein striktes Fotografierverbot (meine Bilder aus 2008 und aus einer aktuellen Broschüre).

Sehr beeindruckend ein Rundgespräch mit Schülern eines nahe gelegenen Oberstufenzentrums – Brigitte hatte die Abi-Bac-Klasse eingeladen – mit denen wir ohne Übersetzung über den Umgang mit Geschichte sprechen konnten – entspannend um ein Kuchenbüffet. Sollten wir eine Verbindung zwischen Les Milles und Neuengamme anregen?

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Französisch-grandios und mit viel politischer Botschaft wurde für die Kulturhauptstadt von 2013 das MuCEM errichtet, das Museum für die Zivilisationen Europas und des Mittelmeerraums. Die politische Botschaft ist deutlich: Marseille (für Frankreich) ist das Kupplungsstück zwischen Frankreich/Südeuropa und den anderen Mittelmeeranrainern. Die vier inhaltlichen Botschaften sind optimistisch, aber dürfen befragt werden:

  1. Um das Mittelmehr herum entstanden Landwirtschaft und Monotheismus.
  2. In Jerusalem entstanden die drei großen monotheistischen Buchreligionen, die sich deshalb verstehen sollten.
  3. In der Polis wie Athen, in den Städten, entstanden die bürgerlichen Freiheiten des Individuums, die unsere Kultur ausmachen.
  4. Der Mittelmeerraum ist der Ausgangspunkt der großen Entdeckungen der Welt.

Dies ist mit relativ wenigen, meist alltäglichen Gegenständen, Videowänden und knappen Texten illustriert – in einem Glasgebäude, das eine vorgesetzte Fassade aus filigranen Betonelementen beschattet. 2008 war der Raum des Mucem vor dem Fort St. Jean noch ein Parkplatz.

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Nach dem Museum ein Spaziergang durch das Altstadtviertel „Le Panier“ am Nordrand des Alten Hafens – jetzt stehen moderne Bauten des späten 40er Jahre am Hafenrand, die deutschen Besatzer hatten das Viertel „aus Sicherheitsgründen“ 1943 abgerissen, allerdings nach schon fertigen französischen Plänen… Weiter oben locken alte Bauten auch Investoren, für manche Agenten der Gentrifizierung, die „abhauen“ sollen. In den bürgerlichen Wohngebäuden der Zeit von Hausmann dichter am alten Hafen stehen viele Wohnungen leer. Gehofft wird auf Käufer aus Paris wegen des TGV, der jetzt direkt aus Paris kommt.

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Eine Entdeckung war das „Mémorial de la Marseillaise“, die hier in einem ehemaligen „Jeu de Paume“-Saal zum ersten Male gesungen wurde – noch mehr aber die Vielfalt der Quellen und Fassungen dieses Textes, der („qu’un sang impur abreuve nos sillons“) auch in Frankreich problematisch gesehen wird: Der Text und vor allem die Musik sind mitreißend…  und man ist doch damit aufgewachsen… Eine starke, partnerschaftliche Diskussion. Auch mein Verständnis für die Hymne ist etwas gewachsen.

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Am letzten Tag fahren wir im Bus nach Nordwesten in die kleine Fischer- und für einige Jahrzehnte nach 1900 auch Künstlerstadt:  Martigues, am Etang de Berre und dann mit einem Schiff bis ans Meer an den Golf von Fos und sehen die vielen Tanker, die Frankreich mit Erdöl versorgen. Klein und heimelig ist Martigues, aus drei Dörfern zusammengewachsen. Felix Ziem, für uns alle in der Gruppe eine Entdeckung, zieht ab 1900 andere Maler nach, und unsere Führerin zeigt uns, wie vielfältig die Darstellungen desselben kleinen Kanals sein konnten.

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Eine Untergruppe hat sich dann auch in den viel genannte und wenig besuchten Norden der Stadt gewagt, geführt von einer Teilnehmerin des Bürgerausrauschen HH – Marseille. Sie hat uns als Lehrerin ihr  Lycée Saint-Exupéry und die Umgebung gezeigt, mit ihren unendlich langen und hohen Wohnblocks – und ein intensives Gespräch mit dem Schulleiter und seinen beiden Stellvertretern ermöglicht. Das war beunruhigend. Zwar erreicht die Schule im echten frz. Zentralabitur anerkannte Ergebnisse, aber bei der Suche nach einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle in Betrieben fallen die vielen dunkler pigmentierten Schüler durch. Auffällig bei allen Schulen die Sicherungen der Zugänge zu den Schulen mit einer Art Sicherheitsschleuse, in der beim Hinausgehen eine Schülerin einen weiten Umhang und ein Kopftuch (in frz. Schulen verboten!) anlegte.

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Was wäre Cluny ohne gutes, genussreiches, landestypisch-fortbildendes Essen? Auch hier hat Brigitte die Vielfalt erreicht: Vom Offizierskasino in St. Nicolas, über Martiges mit ganz besonders getrockneten Fischrogen bis zum Edel-Abschlussessen in einem ehemaligen Arsenalgebäude.

Großen Dank der freundlichen, strengen, inspirierten Reiseleiterin Brigitte Volkhausen!

Für die Fotos sei Fr. Ursula Eden, Dr. Jörge Schneider und Dr. Reinhard Behrens gedankt, letzterer hat auch mit einigen Bildern aus 2008 ausgeholfen.

Abschied von Marseille

Abschied von Marseille

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