Prix Cluny 2014: Begrüßungsrede von Norbert Kremeyer

Cluny 29.11.14 020

Norbert Kremeyer, Vorsitzender der Deutsch-Französischen Gesellschaft Cluny e.V.

Herr Präsident,
Monsieur le Consul général,
liebe Frau Nienstedt,
liebe Preisträgerinnen,
liebe Gäste, Freunde und Mitglieder der DFG Cluny,

Ihnen allen ein herzliches Willkommen zum Prix Cluny 2014, ich freue mich über Ihre Teilnahme an dieser Preisverleihung, mit der wir gleichzeitig unseren 67. Geburtstags begehen.

Danken möchte ich Ihnen, Herr Schira, für Ihren Besuch und das Interesse der Bürgerschaft an den Aktivitäten unserer Deutsch-Französischen Gesellschaft.

Mit Ihnen, Monsieur Lavroff, weiß ich mich verbunden durch eine Vielzahl von gemeinsamen Aktivitäten und Begegnungen im Geiste der deutsch-französischen Verständigung. Wir alle wissen es zu schätzen, dass Sie für uns da sind, dass wir auf Sie zählen können, wenn es gilt, unsere Arbeit durch Ihre Unterstützung und Inspiration zu bereichern. Un grand merci à vous!

Ihnen, Frau Nienstedt, darf ich danken für die Mitwirkung der Handelskammer, die Bereitstellung dieses wunderbaren Festsaals und die Großzügigkeit, die wir als deutsch-französische Gesellschaft hier auf Schritt und Schritt zu spüren bekommt.

Froh und dankbar machen mich die Musiker, die sich heute zu uns gesellt haben, um uns mit französischen und deutschen Chansons zu unterhalten – das Vorspiel hat schon gezeigt, dass Ihr Euch auf diesen Tag erfolgreich eingestimmt habt. Wie belebend, zum 67. Geburtstag mit so jungen, unbeschwerten Klängen erfreut zu werden! Und gleichzeitig bringt Ihr – ganz wie die Preisträger – Eure Offenheit, Eure Neugier gegenüber unseren französischen Partnern zum Ausdruck.

Die Abrundung dieses Genusses wird geliefert von den Gourmetkindern aus Rothenburgsort, die uns nach dem feierlichen ersten Teil dieser Veranstaltung zu Buffet und französischem Wein erwarten.

Liebe Gäste, auf die Frage, was der entscheidende Unterschied sei zwischen Deutschland und Frankreich, antwortete kürzlich der Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt ohne Umschweife: „Die Sprache!“

„Nun ja, die Sprache“, möchte man sagen, „klar, dass jemand das so sieht, der selbst fast nur mit Sprache zu tun hat. Aber der ‚entscheidende’ Unterschied – ist das nicht übertrieben?“

„Eh bien“, würde Goldschmidt vielleicht erwidern, „schauen wir genauer hin! Nehmen wir zum Beispiel das französische Wort ‚sortie’: zu deutsch ‚Ausfahrt’, wenn wir die Autobahn verlassen wollen. Kommen wir aber aus dem Kino oder dem Theater, ist mit ‚sortie’ der ‚Ausgang’ gemeint, und beenden wir eine Fahrt mit der Bahn, wird die französische ‚sortie’ zum ‚Ausstieg’. Von ‚Ausflug’ schließlich sprechen wir, wenn wir einen Tag im Grünen oder an der See zu verbringen – in Frankreich wäre das wiederum eine ‚sortie’.

Sie sehen schon, worauf unser Autor hinaus will: Wo das Deutsche x Varianten kennt, Ausfahrt, Ausgang, Ausstieg, Ausflug, kommt das Französische mit einem einzigen Wort aus: ‚sortie’. Man könnte sagen, es geht in der französischen Sprache mehr um das Ziel, egal, wie man dahin kommt. Sie fasst das Ankommen ins Auge, überspringt Zwischenstufen. Das Deutsche dagegen interessiert sich für den Weg, der zum Ziel führt, für die Art der Fortbewegung. Es ist – so Goldschmidt – eine Sprache der konkreten räumlichen Vorstellung, der fast körperlichen Wahrnehmung.

Heinz Wismann, ein anderer Grenzgänger zwischen den Sprachen, kommt zu folgender Beobachtung:

Die französische Sprache verfügt über einen unbegrenzten Reichtum an mitschwingenden, unterschwelligen Bedeutungen und Verstehensmöglichkeiten. Sie ist eine Sprache der Anspielung, der Andeutung. Das Deutsche dagegen nennt die Dinge beim Namen, ausdrücklich und unmissverständlich. Nichts bleibt unbestimmt. Dafür steht ein Wortschatz zur Verfügung, der – so vermutet Wismann – bei einem kultivierten Deutschen etwa drei- bis fünfmal so groß ist wie der seines französischen Gesprächspartners. Man möchte fragen: Eignet sich das Deutsche als Sprache der Diplomatie?

Beträchtliche Unterschiede auch beim Satzbau: Hier treffen wir im Französischen auf mehr Flexibilät, mehr Spielraum, während das Deutsche nach strengen Regeln funktioniert. Selten erschließt sich hier die Aussage eines Satzes, bevor nicht – oft erst an dessen Ende – das entscheidende, bedeutungs-tragende Verb auftaucht.

Insgesamt – so Wisman – begünstigt die deutsche Sprache das, was sich aufs Tun, aufs Handeln bezieht, während im Französischen das Prinzip der Räumlichkeit überwiegt. Es bleibt so etwas wie ein Schweben. Wir können diese Unterschiede in der Malerei wiederfinden, wenn wir daran denken, dass der Impressionismus ein eher französiches Phänomen ist, der Expressionismus dagegen mehr ein deutsches.

Es kommt nun darauf an – und damit sind wir beim Thema dieser Veranstaltung – , die Unterschiede zwischen unseren Sprachen nicht als Hürde, als Behinderung aufzufassen, sondern als Bereicherung.

Unsere Sprachen weisen über sich selbst hinaus, sie sind wie Speicher, in denen sich Erfahrungen ablagern aus unserem Zusammenleben, unserer Geschichte, unserer Art zu denken und zu handeln, unserem wirtschaftlichen und sozialen Miteinander, sie sind Ausdruck von Tradition und Zugehörigkeit.

In der Begegnung mit einer anderen Sprache tut sich ein Raum auf zu einer anderen, unbekannten Zugehörigkeit, an der wir uns abarbeiten können.

Das kann erstaunlich mühsam sein, verunsichernd, aber wir werden belohnt. Wir öffnen uns, es entsteht eine Art Zwischenraum, eine dritte Dimension, die wir nutzen können zur Verständigung mit fremden Menschen, Denkweisen, Orientierungen, ohne unsere Wurzeln zu leugnen.

Im Lichte des Fremden können wir einen frischen, ungewohnten Blick auf uns selbst werfen. Wir können unsere Identität zu anderen Identitäten in Beziehung setzen, überdenken, dynamisch und wandelbar gestalten.

Nichts anderes tun wir als Mitglieder der Cluny-Gesellschaft, nichts anderes unternimmt jemand, der eine neue Sprache lernt, und so ist auch die Absicht zu verstehen, die wir mit dem Prix Cluny verfolgen.

Meine Damen und Herren, wir sind auf diesen Prix Cluny ein wenig stolz, wir sind stolz auf die heutigen Preisträger und ihre Vorgänger, und wir sind stolz auf Hubert Depenbusch, der 2007 die ausgezeichnete Idee hatte, diesen Preis ins Leben zu rufen. In der Zusammenarbeit mit der Handelskammer hat er dieser Idee eine attraktive Form gegeben und damit ein klares Zeichen gesetzt für unseren Wunsch, junge Talente zu entdecken, zu fördern und für gemeinsame Ziele zu begeistern.

Wir vergeben den Prix Cluny heute zum achten Mal. Es ist eine Tradition entstanden, die wir mit dieser Feier fortsetzen und vertiefen wollen. Ich freue mich auf unser Zusammensein, wünsche Ihnen anregende Begegnungen im Zwischenraum der Sprachen und nutze den Anlass, lieber Hubert, um Dir für Deinen Weitblick, Deinen anhaltenden Elan und Deine clunyazensische Tatkraft zu danken – persönlich und im Namen unserer Mitglieder.

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