Prix Cluny 2014: Festvortrag von Serge Lavroff

Festvortrag von Serge Lavroff, Generalkonsul der Französischen Republik in Hamburg

Serge Lavroff, Generalkonsul der Französischen Republik in Hamburg

Sehr geehrter Herr Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft,
Sehr geehrter Herr Präsident der Deutsch-Französischen Gesellschaft Cluny,
Sehr geehrte Frau Direktorin,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freunde,

in einigen Tagen werden in den wunderbaren Räumen des Stockholmer Konzerthauses die Nobelpreise für das Jahr 2014 überreicht. So wie beim Prix Cluny, den wir nachher vergeben werden, wird die französische Sprache dort wie hier geehrt werden. Patrick Modiano erhält den Nobelpreis für Literatur und die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften zeichnet damit nicht nur einen der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller aus, sondern auch die Sprache, in der dieser seine Sensibilität ausdrückt, in einem wunderbaren, scharfsinnigen Werk, durchdrungen von Poesie und Nostalgie.

Ich freue mich also, dass, in Verbindung mit den bedeutenden Namen Cluny und Nobel, sowohl in Hamburg als auch in Stockholm, die französische Sprache diejenigen auszeichnen kann, die ihr gedient und Ehre erwiesen haben. Allen Gewinnern des Prix Cluny 2014 wünsche ich weiterhin viel Erfolg, und ich möchte Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu diesem Preis aussprechen.

Die Sprache, so sagt man, sei der Spiegel der Seele. Die von Patrick Modiano, die so flüssig ist, so wohlgeordnet, so genau im kleinsten Detail, reflektiert auf diese Weise den französischen Gedanken von Nicolas Boileau, den er im Siebzehnten Jahrhundert in der berühmten Aussage kodifiziert hat: « Was man gut begreift, kann man auch deutlich ausdrücken » „Ce qui se conçoit bien s’énonce clairement et les mots pour le dire viennent aisément“. Vergessen wir nicht, dass ich Generalkonsul der Republik Frankreich bin, aber auch Direktor des Institut français, und in dieser Funktion unermüdlicher Verteidiger der französischen Sprache und Kultur.

Ich könnte noch lange über Patrick Modiano sprechen, über sein Werk und über die Art und Weise, wie er es geschafft hat, uns auf wunderbare Weise die Suche nach einer verlorenen Zeit näherzubringen. Ich könnte Sie auch daran erinnern, dass Frankreich mit fünfzehn Literaturnobelpreisträgern das Land ist, das in diesem Bereich die meisten Auszeichnungen erhalten hat und dass das Französische sich auf diese Weise seinen Platz an der Seite des Deutschen sichert, als Sprache, in der sich die Weltliteratur ausdrückt.

Aber wir befinden uns hier in der Handelskammer und in diesen Mauern hallen mehr die Worte der Wirtschaft und des Geschäftslebens wider. Erlauben Sie mir, Sie dahingehend zu beruhigen: Frankreich hat nicht nur berühmte Autoren, sondern auch talentierte Wirtschaftswissenschaftler, da in diesem Jahr das Nobelpreiskomitee entschieden hat, den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften an Jean Tirole zu vergeben, einen unserer brillantesten Forscher in einem Bereich, dem nachgesagt wird, von amerikanischen Akademikern dominiert zu werden.

Also es scheint so, dass es mindestens zwei gute Gründe gibt, Französisch zu lernen, wenn Sie es nicht bereits können: Französisch ist eine der wichtigen Sprachen, um einen direkten Zugang zur aktuellen Forschung zu erlangen, und Französisch ist eine Weltsprache, die uns jederzeit die Pforten zur Welt und zur Gesellschaft öffnet. Dabei gesellt sie sich mit all ihren Facetten, mit ihrer Fähigkeit, die Realität zu erschließen, mit ihren Worten, die uns berühren und mit ihrer Ausstrahlung zu dieser anderen Kultursprache, dem Deutschen, zu der, das gebe ich zu, wir in Frankreich eine große Bewunderung hegen. Dafür gibt es, denke ich, offensichtliche Gründe: Durch unsere Geschichte und die Geographie wurden wir nebeneinander platziert, und unsere Länder, unsere Völker und unsere zwei Kulturen haben sich gegenseitig befruchtet und bereichert, bis in die Sprache hinein. Auf Französisch sagt man zum Beispiel: ersatz, bourgmestre, bunker, und sogar vasistas. Ebenso viele deutsche geläufige Worte haben Eingang in unseren Wortschatz und unseren Alltag gefunden, auch wenn sich der Sinn verschoben hat, mitunter auf unerwartete Weise. Und auf Deutsch heißt es dann: akzeptabel, diskutabel, formidabel… Was soll man noch hinzufügen?

Kurz gesagt, die Worte des einen erklingen oft auch beim anderen und wenn es sein muss, können diese Mut machen, mit Nachdruck motivieren oder zum Erfolg führen. Denn manche Worte, sei es auf Französisch, sei es auf Deutsch, haben eine wahre Macht. Das schönste Beispiel, das ich Ihnen dafür geben kann, stammt von der letzten Fußballweltmeisterschaft. Ich gebe zu, dass ich das Interview mit dem Trainer der deutschen Nationalmannschaft, Joachim Löw, vor dem Beginn des Wettkampfs, mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt habe. Und wissen Sie, was dieser zu den Journalisten gesagt hat?

Ich zitiere: «Die Mannschaft ist motiviert, konzentriert, fokussiert». Starke Worte, die in Frankreich an diesem Tag wohl jeder ohne Wörterbuch verstanden hat. Und an diesem Tag hat auch jeder verstanden, dass Deutschland gewinnen würde, weil die Mannschaft, entschuldigen Sie bitte, dass ich diese sowohl Französisch als auch Deutsch klingenden Worte hinzufüge, engagiert und professionell war! An diesem Beispiel sehen Sie also, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass Deutschland und Frankreich sich gegenseitig das Beste geben, wenn sie miteinander sprechen, sich verstehen und sich gegenseitig inspirieren. Ich wiederhole, „inspiriert“ !

Die Cluny, die älteste deutsch-französische Vereinigung und mit dem Prix Rovan 2013 ausgezeichnet, verkörpert aufs Schönste diese Komplementarität und diese Komplizenschaft, die die Stärke unserer beiden Länder ausmachen. Heute Abend möchte ich vor diesem Publikum aus Freunden Frankreichs die Gelegenheit nutzen, um zwei Umstände zu betonen, die alle beide für die deutsch-französische Zukunft wichtig sein werden:

Als erstes möchte ich DAS wichtige Ereignis in 2014 erwähnen, nämlich den Besuch unseres Premierministers Manuel Valls in Berlin und Hamburg am 22. und 23. September, und dann möchte ich mich an die jungen Deutschen wenden, die angesichts des omnipräsenten Englisch’, des Aufstiegs des Spanischen und neuerdings des Chinesischen, unsicher sind, und für die das Erlernen des Französischen nicht selbstverständlich ist.

Mit Genugtuung stelle ich fest, dass die Freie und Hansestadt Hamburg zu einem festen Termin im Ablauf der offiziellen französischen Staatsbesuche geworden ist und dass dadurch auch die politische Bedeutung von Hamburg in den deutsch-französischen Beziehungen enorm zunimmt. Bereits in 2013 war der damalige Premierminister, Jean-Marc Ayrault, Ehrengast beim Matthiäe-Mahl.

In diesem Jahr ist Manuel Valls auf Staatsbesuch gekommen und hat bei dieser Gelegenheit eine vertrauensvolle Basis für die Arbeitsbeziehungen zu Madame Merkel, Monsieur Sigmar Gabriel, zu Geschäftsleuten und Wirtschaftsentscheidern, Meinungsmachern und zur deutschen Presse geschaffen. Der Premierminister konnte bei diesem Anlass den deutschen Partnern einen wichtigen französischen Standpunkt vermitteln, nämlich die Ernsthaftigkeit unserer Budgetpolitik und die Reduzierung der öffentlichen Ausgaben in Frankreich, unseren Willen unsere Wirtschaftsabläufe zu reformieren und die Wettbewerbsbedingungen in der französischen Wirtschaft zu stärken, indem die Abgaben der Unternehmen auf ein historisches Tief gesenkt wurden und nicht zuletzt die zwingende Notwendigkeit das Wachstum in Europa durch eine ambitionierte Investitionspolitik anzukurbeln.

In diesem Geist wurde dann von unseren beiden Wirtschaftsministern, Emmanuel Macron und Sigmar Gabriel, der gemeinsame Auftrag an die beiden Wirtschaftswissenschaftler, Jean Pisani-Ferry auf französischer Seite und Henrik Enderlein auf deutscher Seite, übertragen, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Wirtschaftslage in unseren beiden Ländern verbessert werden kann, sowie neue gemeinsame Projekte zu erarbeiten, die in Form eines gemeinsamen Berichts Anfang Dezember unseren beiden Regierungen vorgelegt werden. Das wird einen neuen, sehr wichtigen und auch erwarteten Abschnitt in der Beziehung und Zusammenarbeit unserer beiden Länder einleuten, ein Vorbote für eine noch stärkere, zukünftige Übereinstimmung unserer jeweiligen Wirtschaftspolitik.

Frankreich und Deutschland können dabei nur gewinnen, denn unsere beiden Ökonomen werden gemeinsam Vorschläge für Reformen für unsere beiden Länder erarbeiten, die ein langfristiges Wachstum sowohl in Frankreich als auch in Deutschland anregen sollen, vor allem durch mehr Investitionen. Das bedeutet unter anderem für Frankreich, dass die bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Reformierung des Arbeitsmarktes weiterverfolgt und verstärkt werden und für Deutschland, dass die Gelegenheit genutzt werden kann, die Erneuerung der Infrastruktur in Angriff zu nehmen.

Ich füge hinzu, dass diese gemeinsame Anstrengung über die deutsch-französische Dimension hinausgeht. Unsere beiden Länder, die die stärksten Wirtschaften im Euro-Raum stellen, tragen in Europa für das Wachstum der europäischen Wirtschaft eine besondere Verantwortung. Diese Arbeit hat also den Anspruch, ein großer Wurf zu werden, nämlich ein wahrer europäischer « New Deal » und der Vize-Kanzler, Sigmar Gabriel, sagte zu dem Thema, dass Europa mit dem Risiko konfrontiert würde, ein verlorenes Jahrzehnt zu erleben, geprägt von geringem Wachstum, dem Risiko der Deflation, einer exzessiven Verschuldung und einer hohen Arbeitslosigkeit.

Die Europäische Kommission ist sich dieser Situation sehr genau bewusst, worauf die erklärte Absicht ihres neuen Präsidenten, Jean-Claude Juncker, hinweist, in den nächsten Jahren auf europäischer Ebene einen Investitionsplan von Dreihundert Milliarden Euro in die Wege zu leiten.

Frankreich und Deutschland hängen mehr als je zuvor voneinander ab, und das umso mehr, als die Bedrohungen nicht nur wirtschaftlicher Art sind. Sie stammen aus den Bereichen Politik, Militär, Sicherheit und sogar Gesundheit, Klima und Umwelt und betreffen alle Länder Europas, in einer Zeit, wo wir auf allen fünf Kontinenten zunehmende Spannungen und beispiellose Gewalt feststellen: Mali, Nigeria, Boko Haram, Ebola, Zentralafrikanische Republik, Burkina Faso, Syrien, Irak, Islamischer Staat, Gaza, Jerusalem, Iran, Mexiko, Hongkong, Ostchinesisches Meer, Ukraine…

Die Liste der Krisengebiete oder instabilen Gebiete wird ständig länger und nähert sich immer mehr unseren eigenen Grenzen. Seit Ende des zweiten Weltkriegs wurde die Welt noch nicht von so vielen Krisen zugleich beeinträchtigt, und noch nie war die politische, diplomatische und militärische Zusammenarbeit unserer beiden Länder so gerechtfertigt wie jetzt, und drängt sich geradezu von alleine auf. Frankreich und Deutschland leben heute in einer gefährlichen Welt und wissen, dass beide zutiefst solidarisch sein sollten.

Frankreich hat sehr schnell die Tragweite dieser Bedrohungen verstanden und ist militärisch auf dem afrikanischen Kontinent dort im Einsatz, wo Frankreich enge Verbindungen hat, und seit kurzem auch im Mittleren Osten gegen den Islamischen Staat.

Dabei kann Frankreich auf die Unterstützung von Deutschland zählen, das Einheiten der Bundeswehr nach Mali geschickt hat, um die Malische Armee auszubilden und diese dadurch im Kampf gegen die internationalen Djihadisten zu unterstützen.

Unsere beiden diplomatischen Dienste haben sich stärker als je zuvor aufgemacht, die Krisen- und Gewaltherde vorherzusehen, zu verhindern und zu neutralisieren und dafür ihren Dialog intensiviert. Unsere beiden Außenminister, Laurent Fabius und Frank-Walter Steinmeier, treffen sich mit zunehmender Regelmäßigkeit und haben auch auf persönlicher Ebene Freundschaft geschlossen, was Laurent Fabius, gegenüber Frau Steinmeier zu der Aussage verleitet hat: „Wenn Ihr Mann nicht bei Ihnen ist, ist er bei mir.“

Davon erzählen auch die Terminkalender unserer beiden Minister auf internationaler Ebene, denn beide sind gemeinsam zu Terminen in Moldavien, Georgien, Tunesien und Nigeria gefahren und haben gemeinsam an den Kabinettsitzungen unserer beiden Regierungen teilgenommen und im vergangenen Oktober, zum ersten Mal, wurden sie gemeinsam von unseren nationalen Parlamenten angehört, der Assemblée Nationale und dem Bundestag.

Verehrte Damen und Herren,

Ich vertrete die Überzeugung, dass die Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland in eine neue Phase der Verdichtung, der Interdependenz und, ich würde sagen, des Ineinandergreifens eingetreten ist und dass sich diese unumkehrbare Bewegung in den kommenden Jahren auf unsere gesamte Gesellschaft in den beiden Ländern ausdehnen wird. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass in der Französischen Regierung heute eines ihrer Mitglieder einer dieser jungen Deutschen ist, der sich durch das Beherrschen der beiden Sprachen und die Kenntnis unserer beiden Kulturen auszeichnet: Mathias Fekl, Staatssekretär, zuständig für Außenhandel, für die Förderung von Tourismus und französische Staatsbürger im Ausland, ist selbst deutsch-französisch. Es ist in Frankfurt geboren, hat das Lycée français in Berlin besucht und eine politische Karriere in Frankreich gestartet, wo er zum Regionalrat für die Region Aquitanien gewählt wurde.

Diese exemplarische Laufbahn aus deutsch-französischer Sicht ist aber auch zutiefst europäisch, und dieser Aspekt regt mich dazu an, auf die zunehmende Wichtigkeit der französischen Sprache zurückzukommen:

Die französische Sprache zählt heute Zweihundertsiebzig Millionen Sprecher in der Welt. Neben Englisch ist Französisch die einzige Sprache, die auf allen fünf Kontinenten gesprochen wird, und die Sprache ist noch nie so universell gewesen wie heute: Sie müssen wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Zahl der Frankophonen sich bis zum Jahr 2050 fast verdreifachen und dann Siebenhundertfünfzig Millionen Sprecher auszumachen wird. Wenn die Frankophonie dazu bestimmt ist, einen solchen Aufschwung zu erfahren, dann wird dieser getragen vom demographischen Schub ohnesgleichen auf dem afrikanischen Kontinent, dessen Anzahl der Bewohner sich bis zum Ende des Jahrhunderts vervierfachen wird. Eine wahre Weltrevolution der Demografie läuft ab und die französische Sprache ist ein wichtiger Teil davon.

Ich füge noch hinzu, dass sich die Frankophonie darüber hinaus auf zunehmende Gelegenheiten stützen kann, die sich durch das historische Abheben der afrikanischen Wirtschaft bieten, deren mittlere Wachstumsraten heute bei 6% liegen, eine der am stärksten wachsenden Wirtschaft auf der Welt. Für uns Europäer wird Afrika so zu einem neuen Schwellenmarkt, und in der Weise, wie Afrika sich entwickelt, wird sich der Austausch innerhalb Afrikas vervielfachen: das anglophone Afrika handelt zunehmend mit seiner frankophonen Hälfte und benötigt dafür auch verstärkt Unterstützung in der Ausbildung der Französischen Sprache.

Angesichts der Ereignisse der letzten Monate waren dies in Kürze, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Überlegungen, die ich Ihnen mitteilen wollte. Wenn ich diese Punkte noch stärker extrahieren sollte, würde ich sagen, dass uns in dieser unsicheren Globalisierung, die bedrohliche und feindliche Aspekte aufweist, die wir mehr und mehr erkennen müssen, alles zu einer stärkeren Bindung mit Deutschland drängt: Die zwingende Notwendigkeit zu Wirtschaftwachstum zurückzukehren, die Sicherheit in unseren Ländern und unserer Bürger, die Verteidigung unserer gemeinsamen Werte, und das Teilen eines europäischen Kulturerbes, zu dem unsere beiden Länder so viel beigetragen haben. Und im Herzen dieser deutsch-französischen Beziehung, die uns so vertraut geworden ist, sehe ich unsere beiden Sprachen, die wir jeweils stärken, unterrichten und über unsere Grenzen hinaus verbreiten sollten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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